Sa. Apr 20th, 2024
Credit: GK Roskosmos
Credit: GK Roskosmos

Wostotschny,  28. April 2016 –  Russland hat am Donnerstag ein neues Kapitel seiner Raumfahrtgeschichte aufgeschlagen. Im zweiten Anlauf wurde mit dem perfekten Start einer Sojus-2.1a-Trägerrakete um 04.01 Uhr deutscher Zeit (11.01 Uhr Ortszeit) die erste Etappe seines neuen und rein zivilen Kosmodroms Wostotschny im Amur-Gebiet eingeweiht. Die Rakete,  deren Start noch bis zu einer Entfernung von 100 Kilometern zu sehen gewesen sein soll,  brachte von dem einstigen Gelände einer Atomraketen-Division drei kleine Satelliten ins All,  die von Studenten in Moskau und Samara an der Wolga gebaut wurden.

 

Der erste Startversuch war am Mittwochmorgen zweieinhalb Minuten vor dem Abheben automatisch abgebrochen worden. Schuld daran war ein fehlerhaftes Kabel in der Steuerung der Rakete. Es wurde zusammen mit einem Kommutator-Block in aller Eile ausgetauscht,  so dass die Staatliche Kommission am Abend kurz nach 22.30 Uhr grünes Licht für den zweiten Versuch geben konnte.

 

Den Start beobachtete auch Präsident Wladimir Putin, der zuvor wegen Qualitätsmängeln scharfe Kritik an den Raumfahrt-Verantwortlichen geübt hatte. Er hatte 2008 den Grundstein für das Kosmodrom gelegt und danach die Baustelle mehrfach besucht, auf der die Arbeiten erst 2012 in vollem Umfang begannen.

 

Der Präsident beglückwünschte die Startmannschaften zur erfolgreichen Premiere. Es gebe etwas,   auf das man stolz sein könne,  sagte er. Beim ersten Startversuch habe es nicht geklappt. Das sei eine „normale Erscheinung“. Das Wichtigste sei,  dass die Infrastruktur des Startplatzes funktioniere. „Ich hoffe,  dass das auch beim Raketenkomplex so sein wird.“  Nunmehr stehe mit dem Bau der Angara-Rampe die zweite Ausbauetappe bevor,  die auch nicht leicht sei.

 

Mit dem Präsidenten verfolgten auch Putins Administrationschef Sergej Iwanow,  der für das Militär und die Raumfahrt zuständige Vizepremier Dmitri Rogosin,  der Chef des Raumfahrtstaatskonzerns GK Roskosmos,  Igor Komarow,  und der Kommandierende der Weltraumstreitkräfte,  Generalleutnant Alexandr Golowko,  das Spektakel.

Vor dem Start hatte der Bischof von Blagoweschtschensk,  Lukian,  die Rakete gesegnet. Diese Tradition war nach dem Ende der UdSSR in Baikonur eingeführt worden.

Von seinem erklärten Ziel,  sich mit Wostotschny von Kasachstan unabhängig zu machen,  auf dessen Territorium seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 der legendäre Startplatz Baikonur liegt,  ist Russland aber noch meilenweit entfernt. Frühestens 2023 soll von hier der erste bemannte Start erfolgen –  mit der neuen Trägerrakete Angara und dem neuen Raumschiff Federazija.

Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt sind also Russland und seine Partner auf Kasachstan angewiesen,  wenn sie mit den Sojus-Raumschiffen zur Internationalen Raumstation ISS fliegen wollen. Der Grund: die Raumschiffe sind von Wostotschny aus am Ende der Aufstiegsphase viel über Wasser unterwegs –  zuerst über dem Ochotskischen Meer und dann dem Pazifik. Und da die Sojus-Kapseln für die Landung auf dem Festland konzipiert sind,  könnten sie sich im Falle einer Notlandung nicht sehr lange über Wasser halten.

 

In Kürze soll auf dem nur 700 Quadratkilometer großen Areal mit dem Bau eines Startkomplexes für die Angara-Raketenfamilie als zweiter Etappe des Kosmodroms begonnen werden. Erst mit der Fertigstellung dieses Komplexes kann nach Ansicht von Experten von einer echten Kommerzialisierung des neuen Kosmodroms die Rede sein. Doch darum geht es den Russen auch nicht vorrangig. Wichtig ist für sie die nationale Sicherheit,  das heißt der unabhängige Zugang zum All vom eigenen Staatsgebiet.

Der unbemannte Erststart einer Angara,  die nach dem Baukastenprinzip für Nutzlasten zwischen 1,5 und 30 Tonnen zusammengestellt werden kann,  ist aber erst für 2021 geplant.

Russland verfügt derzeit nur über einen eigenen Startplatz – das Militärkosmodrom Plessezk im Landesnorden. Von hier starten überwiegend militärische Satelliten in Polarbahnen beziehungsweise auch Konversionsraketen mit Nutzlasten für zahlende Kunden. Für bemannte Starts ist Plessezk nicht geeignet.

 

Insofern ist Baikonur,   das Moskau für jährlich 115 Millionen Dollar bis 2050 von Kasachstan gepachtet hat,   auch in den kommenden etwa zehn Jahren unverzichtbar.

Für das neue Kosmodrom gab es sechs mögliche Standorte:  jeweils zwei im europäischen Teil des Landes,  in Sibirien und im Fernen Osten. Die Wahl fiel schließlich auf das Amur-Gebiet,  das von Moskau gut 8.000 und von China nur 100 Kilometer entfernt ist.

Den Ausschlag gaben die gute Infrastruktur,  die energetischen Ressourcen und die im Vergleich etwa zum Konkurrenten Sowjetskaja Gawan geringe seismologische Aktivität.

Der Gouverneur des Amur-Gebietes,  Alexandr Koslow,   erwartet sich vom Kosmodrom einen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und sozialen Aufschwung. So soll die nahe Garnison Uglegorsk,  die vor kurzem in Ziolkowski umbenannt wurde,  zu einer Akademikerstadt weiterentwickelt werden,  die viele junge qualifizierte Leute anlockt.

© Gerhard Kowalski

 

 

 

 

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