Fr. Apr 19th, 2024
Credit: GK Roskosmos

Baikonur,  21. Juli 2021 —  Das russische Mehrzwecklabormodul Nauka (Wissenschaft) ist seit Mittwoch auf dem Weg zur Internationalen Raumstation ISS. Es stieg um 16:58 Uhr deutscher Zeit an der Spitze einer schweren Proton-M-Trägerrakete vom Kosmodrom Baikonur in Kasachstan auf. Die Ankopplung ist für den 29. Juli vorgesehen

Nauka ist das erste russische Modul,  das nach 2010 zur ISS gebracht wird. Das bisher letzte war das kleine Forschungsmodul Rasswet (Morgendämmerung). Nauka wird an das Servicemodul Swesda (Stern) angekoppelt,  wo derzeit noch das Modul Pirs (Pier/Anlegestelle) vor Anker liegt. Dieses wird am 23. Juli dort abgedockt und zusammen mit dem Frachter Progress MS-16 gezielt zum Absturz gebracht.

Nauka war 1995 als Double für das erste russische ISS-Modul Sarja (Morgenrot) gebaut worden. 2004 entschloss man sich,  es umzurüsten und 2007 zur ISS zu starten. Das konnte dann nicht stattfinden,  weil inzwischen das Treibstoffrohrsystem verschmutzt war und komplett ausgetauscht werden musste.

Mit dem über 20 Tonnen schweren Modul erhält das russische Segment erstmals eine umfangreiche Forschungsbasis,  eine dritte Schlafkabine,  eine zweite Toilette und den europäischen Manipulatorarm ERA. Zudem ist damit das Segment komplett. Auf den Start des Wissenschaftlich-Energetischen Moduls (NEM) wurde indes verzichtet. Es soll jetzt das Basismodul der künftigen nationalen russischen Raumstation ROSS werden.

© Gerhard Kowalski

 

 

4 Gedanken zu „Proton-M mit Nauka-Modul auf dem Weg zur ISS – Kopplung für den 29. Juli geplant“
  1. hallo Herr Kowalski,

    offenbar soll es Probleme mit dem Antrieb von Nauka geben. Hoffentlich nur ein software Problem.. oder sollten die ehemals verstopften Treibstoffleitungen doch nicht alle erfasst worden sein? Haben Sie da bereits updates hierzu?

  2. Nauka mit lösbaren Problemen…..(bin kurz zurück)

    Bei Nauka handelte sich nicht um verstopfte Treibstoffleitungen, sondern um Kontamination von einhundert Mikrometer große Metallpartikel, die bei der Arbeit der Tankanlage entstehen, so eine Quelle aus der Raumfahrtbranche.

    Das Modul Nauka das vor etwa 10 Jahren fertiggestellt wurde, hat mit dem heutigen Modul, das auch einen neuen Namen als Nauka-V ( V= Verbessert, auf russisch Nauka-U ) erhielt, wenig zu tun. Der Generaldirektor des Zentrums, Aleksei Varochko, sagte 2020 der Komsomolskaja Prawda : „Jetzt ist alles auf MLM, außer den Hauptmaschinen und Tanks, neu. Die aktuelle Nauka ist eine ganz andere Maschine.“ Das Modul das eine Masse von 20.302 kg hat, ist heute eine absolute Spitzenleistung und ist buchstäblich mit modernster Ausrüstung gefüllt. Sein Erscheinen im Orbit soll die Arbeit der russischer Forscher nach 20 Jahren der ISS endlich auf ein neues Niveau heben.

    Fakt: Nach dem Erkennen von Fremdpartikeln im Jahr 2013 wurden alle originalen Rohrleitungen und Ventile aus dem Modul demontiert. Aufgrund der Tatsache, dass der Körper des Moduls vor fast 20 Jahren hergestellt wurde, mussten fast alle Geräte mit Ausnahme des Antriebssystems ersetzt werden. Ein weiterer Nachteil: Der Hersteller der Tanks und Leitungen, „Hammer und Sichel“, war nicht mehr auf dem Markt. Das Entfernen, Reinigen und Zusammenbauen des gesamten Systems wäre wirkungslos und nicht möglich, viele Rohrleitungen, Ventile musste man schneiden. Der Einbau wäre somit aus technischen und Versicherung-rechtlichen Gründen nicht mehr möglich. Damit aber die Nauka doch starten könnte, war Chrunischew gezwungen eine neue Produktionsanlage zur Herstellung von Aggregaten und Pipelines für das Modul zu eröffnen, was mit hohen Kosten und Zeitaufwand verbunden war. Insgesamt wurden 576 Pipelines neu installiert.

    TRIEBWERKE: An Bord der FGB (d.h. die gleichen Typmodule Zarja und Nauka) sind drei Arten von Triebwerken installiert:

    1. DKS, Die Haupttriebwerke sind auch Korrektur- und Rendezvous-Triebwerke
    2. DPS, Andock- und Stabilisierungstriebwerke
    3. DTS, Präzisionstriebwerke Stabilisierungsmotoren

    Dieses Antriebssystem wurde Mitte der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts für die bemannte TKS Raumschiffe erfunden. Alle arbeiten mit einem für die russische Weltraumforschung traditionellen Brennstoffpaar – asymmetrischem Dimethylhydrazin (Brennstoff) und Stickstofftetroxid (Oxidationsmittel).

    Das DKS besteht aus zwei KRD-442-Flüssigkeitstriebwerken (GRAU 11D442-Index), die von der Isaew KBHM mit einem Nennschub von jeweils 417 Kilogramm (4,09 Kilonewton) entwickelt wurden. Der Treibstoff und das Oxidationsmittel des DKS werden aus vier Niederdrucktanks mittels Turbopumpen gewonnen. Dieselben Turbopumpen sorgen für den Kraftstofftransfer von Niederdrucktanks zu Hochdrucktanks. Diese Triebwerke sollten den autonomen Flug des Moduls sicherstellen. Die Stabilisierungstriebwerke DPS sind 24 11D458-Triebwerke mit einer Schubkraft von 40 Kilogramm (392 Newton). Zur genauen Stabilisierung beim Andocken werden weitere 16 DTS-Triebwerke (17D58E) mit einer Schubkraft von 1,36 Kilogramm (13,3 Newton) benötigt.

    ZU TANKS: Die im Modul verbauten Kraftstofftanks (zum Nachtanken) wurden Anfang der 90er Jahre speziell für diesen Fall konstruiert und ihre Produktion wurde schon lange eingestellt, so dass es zu dieser Zeit einfach nichts gab, was sie ersetzen konnte. Fakt: Die Tanks wurden so konzipiert, das in der Schwerelosigkeit das Nachbetanken durch die Progress Raumschiffe möglich wäre. Zu diesem Zweck wurden spezielle, den Akkordeon-Mechs ähnliche Vorrichtungen eingebaut, mit denen die Membrane während des Kraftstoffverbrauchs oder beim Nachfüllen in den Tank bewegt werden können. Durch die Eigenart der Konstruktion mit dem Faltenbalg, die für das Nachtanken erforderlich ist, ist es praktisch unmöglich die Tanks zu spülen.

    Auch die Frage zum Ersatz der Tanks ist recht problematisch. Das Modul besteht aus sechs langen und sehr schmalen 77KM-6127-0 Tanks, ansonsten hätte die Verkleidung der Proton Trägerrakete nicht gepasst. Auch die Breite war so angepasst, das die Tanks nicht über die Kühler des Wärmetauschers hinausragen, sonst könnten die Kühler ihre Funktion schlecht ausüben, die Folge wäre eine Überhitzung des Moduls. Aus den technischen Gründen ist deshalb die Verwendung von neuen Tanks des NEM Moduls nicht möglich.

    Experten sagen jedoch, dass alte Tanks trotz bestehender Mängel sicher einmal verwendet werden können, da sie ursprünglich für den wiederholten Gebrauch konzipiert wurden. Am 19. September 2019 teilten Quellen aus der Raketen- und Raumfahrtindustrie den Medien mit, dass das Nauka-Modul mit seinen Standardtanks zur ISS gestartet wird, der Einbau von umgebauten Tanks aus der Fregat-Oberstufe wird nicht erforderlich sein, da die Standardtanks wurden erfolgreich getestet. Trotz der Tatsache, dass die Nauka-Tanks ursprünglich für den Mehrfachgebrauch konzipiert waren, werden sie jetzt nur einmal verwendet – um das Modul an die Station anzudocken. Es wurde aber diskutiert, die Nauka-Tanks eines anderen im Bau befindlichen Moduls für die ISS, dem Scientific and Energy (NEM), aufzusetzen, das jedoch nicht mehr zur TKS-Dynastie gehört, und die Tanks sind anders gebaut: Sie haben einen größeren Durchmesser und würden daher nicht unter die Heizkörper der Nauka passen. Um sie auf dem Modul unterzubringen, müsste das Chrunitschew-Zentrum auch die Kopfverkleidung der Proton-Rakete neu gestalten.

    Die Tanks, die das Projekt fast vergraben haben, sind 400-Liter-Behälter an der Außenfläche des Nauka-Moduls, in die Kraftstoff (asymmetrisches Dimethylhydrazin, UDMH, auch bekannt als Heptyl) und ein Oxidationsmittel (Stickstofftetroxid, auch bekannt als Amyl) gefüllt werden, insgesamt etwa 2,4 Tonnen Treibstoff. Davon geht der Treibstoff an die Korrektur- und Rendezvous-Triebwerke (DKS, Index 11D442). Diese Triebwerke werden zumindest in dem Moment, in dem das Modul in die Umlaufbahn gebracht wird, dringend benötigt. Die Proton-Rakete kann ein 24-Tonnen-Modul nur in eine Referenzbahn mit einer Höhe von etwa 180-200 Kilometern schießen, und sie muss die ISS-Umlaufbahn mit einer Höhe von 400 Kilometern alleine erreichen. Fremdpartikel in Tanks und Pipelines können theoretisch in die Triebwerke gelangen und sie stören: Das Modul bleibt in der Referenzbahn stecken und verbrennt dann in der Atmosphäre, was das Schicksal von Phobos-Grunt wiederholt.

    ZU KONTAMINATION: Die TKS-Raumschiffe mit den identischen Tanks sind schon viele Jahre im Dienst, es gab bisher keine Abweichungen oder technische Probleme. Solche Tanks hatte die Mir und andere Nachfolger der TKS, darunter die amerikanische Zarja. Alle diese Module sind auch für das wiederholte Betanken unter Schwerelosigkeit geeignet – in ihnen befinden sich Faltenbälge, gewellte Zylinder mit einer Membran, ähnlich einem harmonischen Faltenbalg. Gas (Stickstoff) wird von einer Seite des Tanks eingespritzt, der Balg dehnt sich aus und drückt Kraftstoff aus dem Tank. Der Tank ist ein Aluminiumrohr mit zwei Enden an den Enden, innen sitzt ein 0,3 Millimeter dicker Edelstahlbalg. Sie haben eine einteilige Aluminiumschale, kalibriert, mit einer Genauigkeitstoleranz um den gesamten Umfang von 0,1 Millimeter. Der Balg wird durch Zufuhr von Stickstoff in den Gashohlraum komprimiert und presst den Brennstoff heraus, so eine Erklärung eines Mitarbeiters.

    Das Auftauchen von Spänen im Kraftstoffsystem – einhundert Mikrometer große Metallpartikel – war seiner Meinung nach unvermeidlich, und es ist fast unmöglich, sie zu entfernen: Der Edelstahlbalg reibt bei der Bewegung an der Aluminiumhülle, also egal wie viele Tanks, im Arbeitsprozess entstehen die sehr winzigen Arbeitsspäne.

    Der Mitarbeiter sagte weiter: “ Es war nicht möglich, die Tanks durch Ersatztanks zu ersetzen: Auch in ihnen wurde Verschmutzung festgestellt, und die Idee, neue zu bauen, wurde nicht einmal ernsthaft in Betracht gezogen – ihr Hersteller, das Werk Hammer und Sichel, stellte seine Tätigkeit einfach ein. Es gebe in Russland keine Fabriken mehr, die eine Aluminiumhülle und Edelstahl dieser Dicke für einen Faltenbalg herstellen würden.“

    PERSÖNLICHE ANMERKUNG: Es ist möglich, dass sich in Tanks der gleichen Art von Modulen der Station Mir und Zarja genau die gleiche Kontamination befand und dies entweder niemanden in der Testphase verwirrte oder es niemand bemerkte (zum Beispiel, weil die Testverfahren ganz andere waren, sie konnte einfach keine Partikel erkennen). All dies hinderte die Module jedoch nicht daran, das Ziel zu erreichen, bei allen Flügeln gab es keine Probleme. Interessant ist aber die Meinung der Fachleute, die die Triebwerke entwickeln und bauen. Die Triebwerksbauer sagten dazu, dass der Motor diese Späne nicht bemerkt, die rutschen problemlos durch die Injektoren. Früher haben sie darauf nicht geachtet. Jetzt sind die Anforderungen ganz andere. Es wurde befürchtetet, dass durch Verunreinigungen Rohrleitungen, Ventile, Düsen verstopfen und der Motor abwürgen würde. Ja, und einer muss mit seiner Unterschrift die Entscheidung dafür tragen.

    Nauka ist auch die letzte des TKS-Clans, des sowjetischen bemannten Raumschiffs TKS (erfolgreich erprobt als Kosmos-929, Kosmos-1267, Kosmos-1443 und Kosmos-1686 und 1981-87 als Teil der Orbitalstationen Saljut-6, Saljut-7 und später als Zarja)). Zu Sowjetzeiten flog dieses Schiff mehrmals unbemannt zu Orbitalstationen, wurde aber schließlich zugunsten der viel billigeren und leichteren Sojus aufgegeben.

    KOSTEN: Ausgehend von den Ausschreibungen (auf dem öffentlichen Beschaffungsportal zu sehen) für die Fertigstellung des Moduls mit den ganzen technischen Details, haben wir folgende Zahlen:

    a) Für den Zeitraum von 2011 bis 2013 von rund 3,725 Milliarden Rubel
    b) Für den Zeitraum von 2015 bis Ende 2018 von rund 4 Milliarden Rubel
    c) Für den Zeitraum von Januar 2019 bis Dezember 2020, 1,2 Milliarden Rubel für Vorbereitung und Einführung von Proton-M mit Nauka sowie Nacharbeiten
    d) Versicherung: Nach der Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen wird AlfaStrakhovanie die Risiken beim Start der Trägerrakete Proton-M und des Mehrzwecklabormoduls (MLM) Nauka sowie beim Andocken des MLM an die Internationale Raumstation ISS versichern. Die Vertragsprämie belief sich auf 1,67 Milliarden Rubel, die Versicherungssumme auf 9,2 Milliarden Rubel.

    TANK PROBLEME: Laut meiner Quelle aus der Raumfahrtbranche geht hervor, dass es einen Fehler in der Modulsoftware gab, der einen Druckausgleich zwischen den Hoch- und Niederdrucktanks verursachte. Infolgedessen konnten die beiden DKS Haupttriebwerke erst bei einem Druck von sieben Atmosphären im Tank eingesetzt werden, um die ISS zu erreichen. Deshalb entschied man sich zuerst für den Einsatz des DPS- Rangiertriebwerks mit geringem Schub.

    Die ständige Verschiebung der Abkopplung des Pirs-Moduls spricht dafür, das Roskosmos nicht sicher war, ob die Nauka überhaupt die ISS erreicht und ohne Pirs und Nauka hätte Roskosmos ernsthafte Probleme. Mit DPS Triebwerken, die pro Sekunde eine Geschwindigkeitssteigerung von 0,05 Metern pro Sekunde liefern, wäre die ISS unerreichbar. Eine Sekunde Betrieb der DKS, führt zu einer deutlich größeren Geschwindigkeitssteigerung von 0,2 Meter pro Sekunde. Diese beiden Triebwerksgruppen erhalten Kraftstoff und Oxidationsmittel aus Hochdrucktanks nach dem Verdrängerverfahren, d. h. aus einem anderen Teil des Kraftstoffsystems, relativ unabhängig von den Tanks, aus denen die DKS erhalten. Abgesehen davon, dass ihr (DPS) Schub sehr gering ist, können beim Anheben der Umlaufbahn nicht alle eingeschaltet werden, sondern nur diejenigen, die sich entlang der Längsachse der Station befinden. Außerdem sind die Düsen einiger von ihnen nicht direkt nach hinten gerichtet, sondern in einem Winkel von 60 Grad – daher verbrauchen sie Kraftstoff viel weniger effizient als die DKS.

    Mit der Testaktivierung von DKS Triebwerken am 23 Juli wurde das Problem behoben und das Pirs-Modul hat inzwischen die ISS verlassen. Die Entwicklung des Moduls Pirs (3580 kg schwer) begann 1998, es sollte das Problem der fehlenden Andockplätze für die Raumschiffe Sojus und Progress an der Internationalen Raumstation ISS lösen. Das Modul wurde am 14. September 2001 mit einer Sojus-U-Trägerrakete vom Weltraumbahnhof Baikonur ins All befördert und drei Tage später an das Swesda-Modul des russischen Segments der Station angedockt, wonach es 20 Jahre lang in seiner Zusammensetzung arbeitete. Laut R. Murtazin könnte die Kosmonauten, wenn nach dem Abdocken des Pirs-Moduls in der Andockstation des ISS-Moduls Swesda Kontaminationen festgestellt werde, in den kommenden Tagen die ISS verlassen um die Fugen zu reinigen. Andernfalls wird diese schmutzige Fuge nicht vollständig abdichten, wenn Nauka dort zusammenkommt. Aber das ist das kleinste Übel.

  3. Vielen Dank für die – wie immer – erschöpfende fachmännische Antwort. Ich werde gerne darauf zurückgreifen.
    GK

Schreibe einen Kommentar