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Wie der Gulag-Häftling Sergej Koroljow die UdSSR zur führenden Weltraumnation machte – Zum 100. Geburtstag des genialen Wissenschaftlers und Konstrukteurs am 12. Januar 2007

Berlin – Kaum eine Biografie spiegelt die Tragik und den Triumph der Ex-UdSSR so deutlich wider wie die von Sergej Koroljow (1907-1966). Der „Vater der modernen sowjetischen Raumfahrt“, wie er gern offiziell apostrophiert wird, entkam nur knapp dem Tod in Stalins Gulag und machte dennoch sein Land zur führenden Weltraumnation. Er baute mit der R-7, der „Semjorka“, die erste Interkontinentalrakete der Welt, deren berühmtester ziviler Ableger „Sojus“ bis heute über 850 Mal gestartet ist. Und mit dem legendären „Sputnik 1“ (1957) und Juri Gagarin (1961) stieß Koroljow für die Menschheit das Tor zum All auf. Seinen 50. Geburtstag am 12. Januar 1957 musste der geniale Wissenschaftler, Konstrukteur und Organisator noch inkognito begehen. Aus übertriebener „bolschewistischer Wachsamkeit“ wurde sein Name bis zu seinem überraschenden Tod 1966 geheim gehalten. Auf die Anfrage des Stockholmer Nobelpreiskomitees, wer denn der Schöpfer des „Sputnik“ sei, ließ Parteichef Nikita Chruschtschow antworten: „Das ganze sowjetische Volk!“ Der große Antipode Wernher von Brauns, mit dem er in einem erbitterten Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum stand, litt sehr unter der Anonymität, die er mit allen führenden Raumfahrtexperten seines Landes teilte. Dennoch arbeitete er als guter Patriot verbissen weiter und schickte vier Jahre später mit Gagarin den ersten Menschen in den Weltraum. Dabei hätte Koroljow eigentlich allen Grund gehabt, das Regime zu hassen. Denn 1938 hatte ihn ein karrieresüchtiger Ingenieur denunziert. Stalins Geheimdienstchef Jeshow ließ ihn verhaften, foltern und als „Volksschädling“ für zehn Jahre zur Zwangsarbeit nach Sibirien verbannen. Aus dem Lager im so genannten Kolyma-Trakt wandte sich Koroljow mehrfach an den Obersten Gerichtshof und auch an Stalin persönlich. Er beteuerte seine Unschuld und bat, seinen Fall erneut zu verhandeln. Er schrieb: „Ich bitte Sie, mir Gelegenheit zu geben, meine Arbeit an Raketenflugzeugen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der UdSSR fortzusetzen.“ Im Herbst 1940 holte der berühmte Flugzeugkonstrukteur Andrej Tupolew, der selbst Gefangener war, Koroljow nach Moskau in das Besondere Technische Büro (OTB), das zu den NKWD-Speziallagern gehörte. Der einstige Tupolew-Schüler entwickelte hier Zusatzraketen für Kampfflugzeuge. Ab 1944 arbeiteten Koroljow und weitere namhafte inhaftierte Spezialisten, darunter sein künftiger Nachfolger Wassili Mischin, an den Grundlagen für den späteren sowjetischen „Raketenschild“. Hier studierte er auch erstmals Teile von Hitlers „Wunderwaffe“, der V-2, die von der vorrückenden Roten Armee in Polen erbeutet worden waren. Ein Jahr später sammelte Koroljow selbst im Nachkriegsdeutschland alles ein, was er von der V-2-Produktion finden konnte. Bereits im Oktober 1948 startete die UdSSR erfolgreich ihre R-1, ein Nachbau der V-2. Und 1953 begann Koroljow mit der Entwicklung der R-7 als Grundpfeiler des atomaren „Raketenschilds“. Die zivilen Varianten der legendären „Semjorka“ haben seit 1957 nicht nur die „Sputniks“ sowie Mond-, Mars- und Venussonden, sondern auch die rund 100 sowjetischen/russischen Kosmonauten und viele ausländische Astronauten, darunter fünf deutsche, ins All getragen. Als erfolgreichster Ableger leistet die „Sojus“-Trägerrakete seit 1967 treue Dienste und versorgt derzeit mit der gleichnamigen Raumkapsel und deren Frachtversion „Progress“ zuverlässig die Internationale Raumstation ISS mit Menschen, Treibstoff ud Material. Koroljow, erst seit 1957 (!!!) voll rehabilitiert, hat den Jungfernflug seines „Sojus“-Raumschiffs, das eigentlich bemannt zum Mond fliegen sollte, nicht mehr miterlebt. Er starb 1966 zwei Tage nach seinem 59. Geburtstag nach einer Krebsoperation. Koroljows Rakete leistet noch heute in der neuesten Version unverzichtbare Dienste bei der Versorgung der Internationalen Raumstation ISS mit Menschen und Material. Denn keiner seiner Nachfolger vermochte es, seinen Platz auf nur annähernd auszufüllen und einen besseren Träger zu bauen.
(Veröffentlicht am 9. 1. 2007 von der Nachrichtenagentur ddp)

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