Fr. Apr 26th, 2024

Berlin/Moskau —  Das Geheimnis um das neue bemannte Raumfahrttransportsystem der Russen ist am Osterwochenende durch eine gezielte Indiskretion gelüftet worden.  Der Nachfolger der legendären „Sojus“-Schiffe, die seit 1967 treue Dienst leisten, habe keine Tragflächen, sei wiederverwendbar, folge dem bewährten Kapselprinzip, verfüge über eine aerodynamische Steuerung und lande vertikal ohne Fallschirm, meldete die Nachrichtenagentur RIA „Novosti“ am Sonntag unter Berufung auf einen namentlich nicht  genannten „hochrangigen Experten“, der an dem Projekt beteiligt ist.

Das „Bemannte Transportraumschiff der neuen Generation“ (Pilotirujemy transportny korabl nowowo pokolenija – PTK NP), so die offizielle Bezeichnung,  sei für sechs Kosmonauten ausgelegt, könne bis zu 500 Kilogramm Nutzlast befördern und sei vor allem für Flüge zur Internationalen Raumstation sowie zu einem für die Zeit nach der ISS geplanten russischen Orbitalkomplex vorgesehen, heißt es  weiter. Es könne aber auch zum Mond und zum Mars fliegen, ohne allerdings dort zu landen, und sei mit Ausnahme der Antriebssektion „mindestens zehnmal“ wiederverwendbar.   Nach dem Durch stoßen der  dichten Schichten der Atmosphäre  lande es nicht wie die „Sojus“-Kapseln  am Fallschirm, sondern  mit Hilfe spezieller Triebwerke, die die Sinkgeschwindigkeit verringern. Dabei kämen „ökologisch saubere Treibstoffkomponenten“ zum Einsatz. Die künftige eigene Raumstation diene neben wissenschaftlichen Aufgaben auch als Plattform für die Montage von Raumschiffen zum Mond und zum Mars.

Bisher war um das neue Raumschiff, das 2015 mit einer  neuen Trägerrakete  erstmals unbemannt und ab 2018 bemannt vom ebenfalls neuen fernöstlichen Kosmodrom „Wostotschny“ starten soll, viel Geheimniskrämerei betrieben worden. Der Chef der Moskauer Raumfahrtagentur Roskosmos, Anatoli Perminow ,  hatte zwar am Samstag den  Bau bestätigt und auch einige Eckdaten genannt, jedoch Details vermieden. Zuvor hatte der Generaldirektor und Chefkonstrukteur der Raketen- und Weltraumkorporation (RKK) „Energija“, Anatoli Lopota, betont, sein Unternehmen müsse  ein Raumschiff entwickeln, das auf dem Weltmarkt „konkurrenzfähig“ sei.  „Deshalb werden wir darüber nichts Näheres mitteilen.“

Lopota verriet allerdings, es trage den Arbeitsnamen „Rus“ und sehe der US-amerikanischen „Orion“-Kapsel „erstaunlich ähnlich“. Es werde sich aber von ihr „unterscheiden“ und  bei der Landetechnik „die Beschaffenheit des russ ischen Territoriums“ berücksichtigen.  Die zurückhaltende Informationspolitik der Russen hat den US-Weltraumexperten James Oberg  zu der Bemerkung veranlasst, beide Länder befänden sich offenbar in einem neuen „kosmischen Wettlauf“.
Denn die USA wollen ebenfalls 2015 ihre neue „Orion“-Kapsel fertig haben.

Bestätigt war indes zuvor schon, dass für das sogenannte Skizzenprojekt des Neulings, das  im Juni kommenden Jahres vorliegen soll, umgerechnet 18 Millionen Euro zur Verfügung stehen. Dieser Betrag liege aber etwa 30 Prozent unter dem wirklichen Finanzbedarf, kritisierte der stellvertretende „Energija“-Chefkonstrukteur Waleri Rjumin in einer Zeitung. Deshalb soll die Summe nach Auskunft des anonymen Experten durch Eigenmittel aufgestockt werden. Durchgesickert war auch, dass die Mond-Variante  lediglich vier Besatzungsmitglieder und 100 Kilogramm Rücklast vorsieht.

Mit der neuen Landetechnik, die der deutsche Astronaut Thomas Reiter übrigens als „sehr gewagt“ bezeichnete, nimmt  Lopota  eine Anleihe bei den „Apollo“-Mondlandefähren der Amerikaner. Der Chefkonstrukteur hält nicht viel von Fallschirmen, wie sie bisher bei den „Wostok“-, „Woßchod“- und „Sojus“-Kapseln verwendet wurden. Damit sei seine Prämisse, die Kosmonauten im Havariefall  „jederzeit, überall und unter allen Bedingungen“ sicher zur Erde z urückzuholen, nicht zu erfüllen, hatte er im Vorfeld der Ausschreibung gesagt.  Denn das Raumschiff überfliege vom Kosmodrom „Wostotschny“ im Amur-Gebiet in der Aufstiegsphase  rund 12 000 Kilometer fremdes Territorium.

Mit dem neuen Startplatz will sich Russland von Kasachstan unabhängig machen, auf dessen Territorium  sein Weltraumbahnhof Baikonur seit dem Zerfall der UdSSR liegt.

(Veröffentlich am 13. April 2009)