Do. Mai 9th, 2024

Berlin – Die Kasachen sind offenbar weitsichtige Leute. Denn als Sigmund Jähn am 3. September 1978 nach einwöchigem Flug zur sowjetischen Raumstation „Salut 6“ mit seinem „Sojus“-Raumschiff in der kasachischen Steppe landete, gingen sie schon von der deutschen Einheit aus, wie sie erst ein Dutzend Jahre später vollzogen wurde: Sie hissten zu Ehren des ersten Deutschen im All die Deutschlandfahne.

Doch das schwarz-rot-goldene Banner wehte nicht lange über der Tribüne, auf der Jähn und sein sowjetscher Raumschiffkommandant Waleri Bykowski von den örtlichen Honoritäten begrüßt und zu Ehrenbürgern Kasachstans gekürt wurden. Ein Oberst der Nationalen Volksarmee (NVA) sorgte in aller Eile dafür, dass es durch eine DDR-Fahne mit Hammer, Sichel und Ährenkranz ersetzt wurde.

Die Fahnenpanne wiederholte sich im Kleinen auch an den schwarzen „Wolga“-Limousinen der lokalen Partei- und Staatsfunktionäre. An den Frontseiten der Wagen prangten Stander im Janus-Stil. Auf der einen Seite grüßte die DDR-Fahne, auf der anderen die der Bundesrepublik. Um die richtige Fahne ins Bild zu bekommen, drehten die Fotoreporter der DDR den Stander einfach um. Dadurch entstanden kuriose Aufnahmen, bei denen der eine Standar nach vorn, der andere aber nach hinten zeigte.

Fotos, die den Zwischenfall belegen, gibt es nicht. Die Bildreporter mussten nämlich während der gesamten Weltraummission Jähns alle ihre Filme bei den Sicherheitsbehörden des Kosmodroms Baikonur abgeben und bekamen selten mehr als eine Aufnahme zurück. Auch in der Berichterstattung der schreibenden Zunft, des Rundfunks und des Fernsehens wurde die Sache totgeschwiegen. Fairerweise muss man aber sagen, dass das diesmal weniger an der Zensur als an der fehlenden Courage der Journalisten lag. Keiner von ihnen hat die „Fahnen-Story“, die sicherlich international für viel Wirbel gesorgt hätte, in einer Art vorauseilenden Gehorsams seiner Redaktion anzubieten gewagt.

Beim Jähn-Flug gab es daneben noch viele  Momente, die zu DDR-Zeiten nicht das Licht der Welt erblickt haben und erst nach der Wende publik wurden. Einer der dramatischsten hätte beinahe zum vorzeitigen Ende der Mission geführt, weil die Umstiegsluke zwischen dem Raumschiff „Sojus 31“ und der „Salut 6“-Raumstation klemmte. Doch Kommandant Bykowski, der schon die Erfahrungen zweier Raumflüge mitbrachte, rettete die Situation. Mit kräftigen Fußtritten stieß er zur Verwunderung des Deutschen die Luke auf.

Sigmund Jähn hat diese Rettungsaktion 1999 in seiner Biographie geschildert. In seinem vertraulichen Flugbericht, den er für seinen Dienstherrn, Verteidigungsminister Heinz Hoffmann, abgefasst hat, ist sie hingegen nicht erwähnt. Vielleicht wollte der Kosmonaut den Armeegeneral damit vor einem nachträglichen Herzinfarkt oder aber die „Russentechnik“ auch nur vor unberechtigter Häme bewahren.

(veröffentlicht am 21. August 2008)