„Eine russische Henne macht nicht ins eigene Nest“ – Dieses alte russische Sprichwort mag der Pilot Jean-Pierre Otelli im Hinterkopf gehabt haben, als er sein neuestes Buch Pilotenfehler 5 schrieb, das den Untertitel Der Absturz des Fluges RIO – Paris trägt und in dem zum ersten Mal die vollständige Abschrift der Gespräche im Cockpit abgedruckt wird.
Schon in seinem Vorwort vermutet der Autor, dass dieses Buch „heftiger“ als die anderen Bücher in dieser Reihe kritisiert werde, da es gerade auch um den fatalen Air France-Flug 447 vom 1. Juni 2009 geht. Man werde ihm vorwerfen, schreibt der Pilot, Kunstflugausbilder (mit 15.000 Flugstunden) und Luftfahrtexperte, der auch die Medien berät und schon mehrere erfolgreiche Bücher über Flugsicherung verfasst hat, dass dieses Enthüllungen „den Ruf der Piloten schädigen“. Doch dann stellt er fest: „Die Fakten sprechen leider für sich. Piloten sind auch nur Menschen – mit Qualitäten, aber auch mit Fehlern.“ Insofern sei es das beste Mittel, diese Fehler zu enthüllen, damit andere Piloten und Besatzungen aus den Erfahrungen lernen können und somit die Flugsicherheit verbessert wird.
Kein einziger der sechs Flugzeugabstürze, die in diesem Band analysiert werden, wäre passiert, wenn das in der Luftfahrt unumgängliche Wort Prozedur respektiert worden wäre, schreibt Otelli. Denn ein Flugzeug zu steuern heiße vor allem, präzise Handgriffe auszuführen, die einem speziellen Problem entsprechen.
Denn was passiert, wenn die Cockpitbesatzungen das Problem nicht erkennen, weil sie unerfahren, schlecht geschult, müde oder gestresst sind beziehungsweise unverhältnismäßig reagieren, zeige gerade der Absturz des Airbus 330-200 mit dem Kennzeichen F-GZCP auf der Strecke von Rio de Janeiro nach Paris.
Beim Durchfliegen einer sogenannten intertropischen Konvergenzzone sind wahrscheinlich die Pitot-Rohre vereist, so dass sie keine Informationen mehr über die Geschwindigkeit der Maschine lieferten, schreibt Otelli. Die Computer konnten dadurch die Leistung der Triebwerke nicht mehr ausgleichen, so dass die Piloten eigentlich hätten eingreifen müssen, was aber offenbar aus Unkenntnis nicht passiert sei. Als dann einer der Kopiloten dann doch eingriff, stellte er den Flightstick auf dreiviertel der Maximalstellung „Hochziehen“, so dass die Maschine die Fluglage sofort um gewaltige elf Prozent erhöht. Auf den daraufhin ausgelösten Überziehungsalarm „Stall“, der vor einem Strömungsabriss warnt, reagierte einer der Kopiloten falsch. Er zog die Steuersäule zu sich heran, statt sie nach vorne zu drücken. Damit nahm das Unheil seinen Lauf. Der Kapitän, der sich zu diesem Zeitpunkt nicht im Cockpit befand, konnte nach seiner Rückkehr auch nichts mehr retten und reagierte zudem auch nicht optimal.
Nach den verschiedenen Verschwörungstheorien der vergangenen Jahre über die Ursachen des Absturzes kommt Otelli zu dem Schluss, dass einer der Kopiloten einen „Anfängerfehler“ gemacht hat. Zugleich wirft er die Frage auf, ob es sich dabei um ein Problem der Ausbildung, um Übermüdung oder um eine Störung des circadianen Rhythmus´ handelt. Vielleicht hätten die Piloten auch geglaubt, dass ein Airbus alle Fehler ausgleiche. „Es ist an den Ermittlern und der Justiz, nun zu klären, wie qualifizierte Piloten so reagieren konnten.“ Was auch immer der Grund für ihr Verhalten gewesen sei, das 228 Menschen das Leben gekostet habe – „man darf ihren Angehörigen nicht irgendwelchen Unsinn erzählen“, warnt der Autor.
Pilotenfehler 5
Der Absturz des Fluges Rio – Paris
Mit der vollständigen Abschrift der Gespräche im Cockpit
Éditions Jean-Pierre Otelli Mars 2017
ISBN: 978-2-3301-0060-2
Gerhard Kowalski
- Juli 2017